September 2016
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Instabile Balkongeländer kurz vor Bezug

EXPERTISE / GELÄNDER

Ein Beispiel aus der Tätigkeit als Schadenexperte für AM Suisse: Der Fall zeigt den Nutzen einer neutralen, lösungsorientierten Expertise auf. Der Inhalt beschreibt den zur Verbesserung eingeleiteten Weg; Prozess von Situationsanalyse, Lösungsfindung und Einigung unter den beteiligten Parteien bis zur Umsetzung.


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Während der Fertigstellung des ersten von drei grossen Mehrfamilienhäusern stellte die Bauherrschaft die Stabilität der bereits fertig montierten Balkon- und Attikageländer in Frage. Angesichts der von ihr als instabil empfundenen Konstruktion beauftragte die Bauherrschaft trotz schriftlicher Bestätigung der Normenkonformität seitens Hersteller die AM Suisse mit der Beurteilung der Stabilität sowie der Einhaltung der geltenden Normen durch einen ihrer Schadenexperten. Anlässlich eines ersten Augenscheins in Anwesenheit aller beteiligten Parteien schienen dem Experten die Vorbehalte der Bauherrschaft nachvollziehbar und eine eingehende statische Überprüfung der Geländer sinnvoll.
Brüstung als Leichtbaukonstruktion
mit verschraubtem Geländeroberteil
Die Balkon- und Attikageländer setzen sich aus den beiden folgenden Elementen, die zusammen von zwei verschiedenen Unternehmen erstellt wurden:
1. Eine vom Fassadenbauer ausgeführte geschlossene Brüstung. Diese besteht aus einer mit Edelstahlkonsolen auf den Rohbau befestigten Tragstruktur aus Aluminiumprofilen. Die Tragstruktur ist auf der Aussenseite mit verdeckt eingehängten Faserbetonelementen und auf der Innenseite mit Aluminiumblech und einer Holzschalung verkleidet.
2. Ein vom Metallbauer ausgeführter, an die er-
wähnte Brüstung verschraubter Geländerober-
teil. Die Pfosten sind aus mehreren Elementen
zusammengeschraubt: der Unterteil aus Aluminium-
Flachprofilen 40 ² 30 mm, zwei gabelförmig
gebogene Bügel aus Flachstahl 30 ² 10 mm und
ein Handlaufträger aus Rechteckstahlrohr
30 ² 20 ² 2 mm. Der auf die Handlaufträger aufge-
schweisste Handlauf besteht aus einem Recht-
eckstahlrohr 50 ² 30 ² 2 mm.
Die innerhalb von wenigen Tagen gemeinsam mit einem zweiten Schadenexperten durchgeführte rechnerische Überprüfung der Konstruktion gemäss den geltenden Normen, unter anderem SIA 260 und 261, deckte tatsächlich einige vorhandene Schwachstellen auf. An der Brüstungskonstruktion und am verschraubten Geländeroberteil wurden sowohl eine ungenügende Tragsicherheit als auch unzulässig grosse Durchbiegungen im Gebrauch ermittelt. Der Fassadenbauer liess seine Brüstungskonstruktion vor Ausführung wohl von einem Ingenieur überprüfen. Die nachfolgend beschriebenen Schwachstellen wurden bei der dabei durchgeführten zweidimensionalen Berechnung jedoch nicht bemerkt oder nicht näher überprüft. Die von beiden Unternehmen nach Vorgabe der Experten durchgeführten Bauteilversuche unter den um die normenkonformen Faktoren erhöhten Lasten bestätigten die mittels 3D-Statik aufgedeckten Schwachstellen. Angesichts des anstehenden Bezugs der Wohnungen war allen Beteiligten klar, dass die Geländer innerhalb von drei Wochen in Ordnung gebracht werden mussten. Der bestehende Zustand hätte eine Sperrung der Balkone und Dachterrassen erfordert, was bei diesem grösseren Projekt unweigerlich den Weg in die Presse gefunden hätte. Also galt es, schnellstmöglich umsetzbare Lösungen zu erarbeiten, die alle Anforderungen bezüglich Tragsicherheit, Gebrauchstauglichkeit, Korrosionsschutz, Architektur etc. erfüllen. Vor der Ausführung mussten die gemeinsam erarbeiteten Massnahmen von den Experten beurteilt und von der Bauherrschaft freigegeben werden.
Verstärkung der Brüstungskonstruktion
Zur Verstärkung der Tragstruktur der geschlossenen Brüstungen wurden unter anderem die folgenden Massnahmen getroffen:
1. Verstärkung der paarweise angeordneten Konsolen aus 3 mm starken Edelstahlblechen mittels unterlegen von je einem 6 mm starken Edelstahl- blech unter die Befestigungsschraube M12. Bild 4 zeigt die Zonen (rot), wo die Streckgrenze an der unverstärkten Konsole überschritten wird. Auf
Bild 5 ist das zusätzlich unter die Befestigungsschraube der Konsole eingebaute Verstärkungsblech sichtbar. Mit dieser Massnahme konnte die Tragsicherheit der Konsolen nachgewiesen und die Steifigkeit der Brüstungskonstruktion deutlich erhöht werden.
2. Aussteifung des oben offenen Rohrquerschnitts der Aluminiumpfosten, da die blosse Rohrwandung dem Biegemoment aus dem daran befestigten Geländeroberteil nicht standhält.
Der Einbau der oben beschriebenen, an sich einfachen Verstärkungen war für den Fassadenbauer mit einem erheblichen Aufwand verbunden. Dies weil die fertig montierten, bis 4 m langen Bekleidungen aus dünnwandigen, faserverstärkten Betonelementen entfernt und wieder montiert werden mussten. Dies, war nicht ohne den Einsatz von Mobilkranen und mobilen Arbeitsbühnen möglich, da Fassadengerüst und Baukran längst abgebaut waren. Umso mehr hat der Fassadenbauer den Schadenexperten und die Bauherrschaft mit einer äusserst speditiven Umsetzung der oben beschriebenen Massnahmen beeindruckt und so sprichwörtlich aus der Not eine Tugend gemacht.
Prüfung und Verstärkung des Geländeroberteils
Die geometrische Ausbildung des Geländeroberteils ist aus statischer Sicht nicht ideal. Die vom Handlauf anfallenden Kräfte werden nicht axial auf die Pfosten übertragen, sondern bis zu 570 mm seitlich versetzt über einzelne gabelförmig gebogene Flachstahlbügel in die Pfosten eingeleitet.
Die erwähnten Bügel werden dadurch auf Torsion belastet und die Verschraubungen entsprechend grossen Zugkräften ausgesetzt. Noch vor der Ausschreibung der Geländer wurde ein Geländermuster hergestellt und dessen Konstruktion und Proportionen von den Architekten und der zuständigen Behörde zur Ausführung freigegeben. Da es sich beim Muster jedoch nur um ein etwa 1,2 ² 1 m grosses Eckelement handelte, wurde das Nachgeben des Geländers bei einem linearen Verlauf – über mehrere Pfostenfelder – zu diesem Zeitpunkt nicht bemerkt. Weder von der ausschreibenden Stelle noch vom ausführenden Unternehmer wurde die Statik dieses Bauteils vor Ausführung gemäss den geltenden Normen überprüft. Die in Anwesenheit des Schadenexperten vom Metallbauer durchgeführten Bauteilversuche zeigten klar die begrenzte Belastbarkeit dieser Konstruktion auf.