Stahlbau
Stahlgiesserei Schaffhausen - Transformation in die Gegenwart
Verdichtetes Bauen, Konversion und Erhaltung eines Industrieerbes waren zentrale Anforderungen an das Projekt Stahlgiesserei. Im Schaffhauser Stadtteil Mühlental entstand innerhalb von fünf Jahren bis 2022 auf der Industriebrache ein neuer Stadtteil mit Wohnungen, Gewerbe und vielfältigen Einrichtungen für die Gemeinschaft.
Erstveröffentlichung / Quelle: Zeitschrift steeldoc
Den Kern des Baukomplexes bilden zwei nebeneinanderliegende Längshallen, die sich von Norden nach Süden erstrecken. Ihre imposante Stahlkonstruktion ist auch nach dem Umbau noch erlebbar und weithin sichtbar. Die Anlage ist als «Kulturgut von nationaler Bedeutung» klassifiziert.
1939 gegründet von Georg Fischer und errichtet vom Architekten Emil Rudolf Mewes, wurde das Werk ständig erweitert, bis es 1991 stillgelegt wurde. Die Verlegung der Mühlentalstrasse sowie der Abriss der Schmelzerei aus dem Jahr 1943 führte zu den am weitesten gehenden Eingriffen. Beide Längshallen – im Norden von zwei querliegenden Hallen begrenzt – wurden ab 1956 nach Süden verlängert und seitlich um weitere Hallen und Verwaltungstrakte, sogenannte Randbauten in gestaffelten Höhen, ergänzt. So kommt es, dass die beiden Hallen nur an der Südseite in Erscheinung treten. Der Randbau an der Westseite bildet die markante Strassenfassade aus einer Klinkervorsatzschale und schmalen, hohen Fenstern mit einer Einfachverglasung in Stahlprofilen.
Den Zeitzeugen respektieren
Zum Umbau in einen Gewerbetrakt wurde die 20-Meter-Längshalle von Süden her auf die Hälfte ihrer Länge bis auf die Stahlkonstruktion rückgebaut. Fünf Gebäude wurden hier nach dem Haus-im-Haus-Prinzip eingestellt. An den Hauptträgern der Halle erfolgte ein Trennschnitt, ein geschweisstes Stahlteil aus einer Kopfplatte und je einer Konsole links und rechts des Trägerstegs verbindet den Träger mit der Betondecke: Die Kopfplatte wurde an die Stirnseite verschraubt, der Träger lagert auf Neopren-Gleitlagern auf dem Stahlteil.
Man betritt die Drei- bis Viergeschosser durch den entstandenen offenen Bereich zwischen der Halle und dem Randbau. Der Teilabbruch an Dach und Dachfries formt eine Lichtschneise und inszeniert die Stützenreihen. Die Gassen zwischen den Gebäuden schaffen einen Blickbezug bis in die 24-Meter-Halle hinein. Drei der neuen Häuser (Haus C, D und E) grenzen direkt an die alte Westfassade des Randbaus an. Sie sind allein an den Betondecken durch ein Profil FLA 80/20 S 235 mit den Fassadenstützen verbunden. Dazu wurde das Profil auf eine Länge von ca. 35 cm in die Decke einbetoniert und an der Stütze angeschweisst. Die markanten hohen Original-Sprossenfenster wurden aufgedoppelt, sodass mit der neuen inneren Fensterfront eine Art Kastenfenster entsteht. So bleiben die Fenster in ihrem Erscheinungsbild erhalten und werden gleichzeitig energetisch ertüchtigt. Die drei Gebäude sind direkt über die Mühlentalstrasse begehbar. In Haus E ist eine Schule, die «Stadtrandschule», eingezogen, Haus D beherbergt heute Organisationen, die der Gesundheit und dem Gemeinwohl dienen: Das «Huus 84» versteht sich mit der Krebsliga, der Lungenliga, Pro Infirmis und der Diabetesgesellschaft Schaffhausen als Zentrum für chronisch Erkrankte. Die «Kirche in der Stahlgiesserei», betrieben von einem Trägerverein, bietet eine bedürfnisgerechte Diakonie an, die Kirche nicht als ein Gebäude, sondern als einen Ort für das gesellschaftliche Miteinander denkt.
Auch der nördliche Hallenteil (Halle H) wurde bis auf seine Stahlkonstruktion rückgebaut. Zwei Gebäude wurden auch hier im Haus-im-Haus-Prinzip hineingestellt, darin mit dem Schweizerischen Arbeiterhilfswerk Schaffhausen (SAH) und der Rheumaliga Schaffhausen zwei weitere Gemeinwohl-orientierte Organisationen. Hier fand auch das Schwimmbad der Rheumaliga seinen Platz. Die Konzentration der Organisationen an einem Standort lässt sie besser kooperieren und erspart den Besuchenden, häufig mehrfach Erkrankten, auch viel Wegzeit, weil der Standort vielen Anliegen gerecht werden kann – darunter auch mit einem Begegnungsraum für Menschen mit und ohne Handicap.
Von der Werkhalle zum Stadtgarten
Herzstück des neuen Stadtquartiers ist die 24-Meter-Längshalle. Von hier ist die Wohnzeile Ost mit ihren acht Hochhäusern zu erschliessen, ausserdem können von hier aus die Läden in der 20-Meter-Längshalle beliefert werden. Vor den Wohnhochhäusern wurden die Oberlichter entfernt, das verbessert die Belichtung der Wohnungen und verschafft einen Sicht- und Raumbezug zur Halle. In den verbleibenden Feldern blieb das Skelett der Oberlichter erhalten. Wo erforderlich, liess sich die Verglasung durch die Drahtglasscheiben der entfernten Oberlichter ersetzen. Ihre Rahmen wurden, nachdem man den Rost entfernt hatte, mit einem zeitgemässen Rostschutz versehen. Trägerkranz und Bitumen-Dachhaut erhielten eine nicht brennbare Zinkblechbekleidung, denn im Bereich der verbleibenden Oberlichter war die Baustoffklasse RF 1 nach VKF-BSR 13-15 (nicht brennbar) vorgesehen, um den Brandüberschlag zu den Hochhäusern zu verhindern. Der Dachfries blieb auf der Westfassade über die gesamte Hallenlänge bestehen. Entlang der Ostfassade wurde das Mauerwerk abgebrochen, sodass die Stahljoche des Hallendachs in diesen Bereichen nun freistehen, damit die Wohnungen besser belichtet werden mit freier Sicht in die Halle. Die Stahljoche wurden mit einem Anstrich gegen Korrosion geschützt.
«Die Stahljoche wurden mit einem Anstrich gegen Korrosion geschützt.»
Als Verbindungsachse wurde die 24-Meter-Halle gleichzeitig in einen Stadtgarten umgewandelt. Die 7200 m 2 grosse Halle ist nun in vielfältige Zonen mit Sitzgelegenheiten unterteilt, wobei sich offene und geschlossene Bereiche im Rhythmus der rückgebauten und der erhaltenen Oberlichter abwechseln. Das Wechselspiel bildet sich auch im Bodenbelag und in der Beleuchtung ab. Hauptattraktion ist ein Regenwasserbach, der die Halle von Norden nach Süden durchfliesst, eine Reminiszenz an die Durach, die unterhalb der Stahlgiesserei kanalisiert wurde, und an die langen Kühlwasserbecken. Er dient letztlich auch zur Bewässerung der üppigen Hallenbepflanzung.
Fit machen für die Weiterbildung
Der Charakter der Fabrikhallen sollte erhalten bleiben, zudem waren die Stahlträger über das gesamte Areal hinweg vielfältig miteinander verbunden, daher musste während der Bauzeit auf die Stahlstruktur Rücksicht genommen werden. Teilweise wurden Stahlträger entfernt, damit Baustelleneinrichtung und Logistik funktionierten, und später wieder eingesetzt. Für den Tragsicherheitsnachweis im Brandfall wurden jene Stahlteile untersucht, die näher als 2,5 m an einer Fensteröffnung oder Fassade ohne Feuerwiderstand stehen. Das betraf die Stützen einer Achse in der 24-Meter-Längshalle und die Binder der 20-Meter-Halle. Die Träger der 24-Meter-Halle erforderten für den Brandschutz keine Verstärkung, denn sie erhalten bereits zusätzliche Reserven durch Abhängelasten aus ihrer früheren Funktion als Kranbahn, sie sind insofern überdimensioniert. Beim Versagen einer Stütze tragen sie die Lasten auf die benachbarten Stützen ab. Die Stützen erforderten die Feuerwiderstandsklasse F 30; sie liess sich bei den Stützen unterhalb der Kranbahn rechnerisch nachweisen, die Stützen oberhalb der Kranbahn wurden brandsicher bekleidet.
Zwischen der Unterkante der Stahlbinder in der 20-Meter-Längshalle und der Oberkannte der Betondecken der eingestellten Häuser A, B und C blieben jeweils circa 50 cm Platz. Im Brandfall wird für die Binder der obersten Etage ein Versagen in Kauf genommen. Sie würden auf die Decke des 3. Obergeschosses fallen. Für diesen Lastfall wurde in der Statik eine zusätzliche Auflast berücksichtigt.
Die beiden eingestellten Häuser D und E überragen die Stahlkonstruktion des Randbaus. Die Binder des Randbaus wurden im Bereich der Gebäudehülle getrennt und auf der Betonkonstruktion aufgelegt. Die Feuerwiderstandsanforderung an die Stahlbinder beträgt R0: Der Gebäudeabstand bis zur Stahlkonstruktion beträgt rund drei Meter und die Stahlkonstruktion ist so robust, dass ein Stützenausfall unterhalb der Kranbahn kompensiert werden kann. Ein Stützenausfall oberhalb der Kranbahn wurde in der Statik wie bei den Häusern A, B und C berücksichtigt.
Die Eingriffe wahren den Charakter der ehemaligen Fabrikanlage, die dem neuen Stadtteil eine Adresse verleiht. Seine Gemeinwohl-orientierten Angebote sind ein Zugewinn – ein Konzept, das erfolgreich zum Beleben des Quartiers beiträgt. ■
Bautafel
Objekt:
Stahlgiesserei Schaffhausen
Bauherrschaft:
Karl Klaiber + Co., Schaffhausen
Tragwerksplanung:
Wüst Rellstab Schmid AG, Schaffhausen
Architektur:
Ulmer Ledergerber Architekten AG, Schaffhausen
Fertigstellung:
2024